TUNE IN - LAMPLWIRTSTEICH

 

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Andreas Kump - „Gewässer bergen“

Egal wo ich bin, ich richte den Blick immer auch zurück. Spule retour, bis zum Anfang der Geschichte. Denn in Gründung steckt Grund und warum hier und nicht anderswo eine Ansiedlung auf grüner Wiese entstand, ist immer die erste interessante Frage in jeder neu bereisten Stadt. In der eigenen sowieso. Dahinter steckt nichts anderes, als pure Lust am Entdecken. Am Nachspüren von Schatten; am Aufreißen zugeschütteter Gräben und gedanklichem Skizzieren verwischter Grundrisse. Das Offensichtliche ist eine Sache – eine andere ist es, sich zu fragen, wie es zum Offensichtlichen hat kommen können. Und so weiter.

Das aber nur als Erklärung vorab. Als Einstieg. Um sich vor Augen zu führen, dass im gerade erst Versunkenem und doch bereits halb Vergessenem häufig aufschlussreiche Perspektiven und die wahren Geheimnisse einer Stadt lauern. Perspektiven und Geheimnisse, denen nachzugehen, immer lohnenswert und Komplexität bildend ist. Warum an der Oberfläche bleiben, wenn sich mit nur ein kleinwenig Tiefgang auch versinken lässt? Warum nicht bergen, was die Stadt an Geheimnissen birgt? Warum nicht?

Gerade erst versunken, aber bereits vergessen sind auch viele alte Bäche und Teiche im Bereich der Linzer Innenstadt. Kaum zu glauben: Dort, wo heute blechroher Autoverkehr rauscht und staut, rauschte bis vor gut 150 Jahren noch allerorts nichts als klares, stilles Wasser. Es rauschte aus Quellen, von den damals bewaldeten Hängen des Bauernbergs, des Frosch- und Freinbergs herab, um sich in einigen Teichen im heutigen Bahnhofs- beziehungsweise Stockhofviertels zu sammeln. Vor gut 150 Jahren noch.

Am Ufer des größten dieser Teiche können wir heute immer noch stehen. Gedanklich zumindest. Einer untergegangenen Perspektive wegen. „Dort, wo die Herrenstraße in die Stockhofstraße einmündet, befindet sich eine kleine dreieckige Gartenanlage von kaum zehn Metern Seitenlänge, die im Volksmund den Namen ‚Lamplwirtsteich’ führt.“ Das ist einem Aufsatz eines Rudolf Berlinger in der Ausgabe Nr. 1 der „Heimatgaue – Zeitschrift für oberösterreichische Geschichte“ aus 1933 zu entnehmen. Derselbe Berlinger, der drei Jahre später, im „Linzer Volksblatt“ vom 18. April 1936, einem Samstag, weitere Informationen zum Lamplwirtsteich sowie über andere „Verschwundene Linzer Teiche und Wässerlein“, so der Titel seines Artikels, veröffentlichte.

Der kleine, bis heute bestehende Park am Dreieck aus Auersperg-, Volksgarten- und Stockhofstraße als Rest eines Teiches? Tatsächlich. 1788 hätte die Wasserfläche besagten Gewässers eine Ausdehnung von 36 mal 14 Klafter betragen, bezieht sich Berlinger auf alte Quellen, um selbst auf 504 Quadratklafter hochzurechnen, heute gleichbedeutend mit immerhin 956 Quadratmetern. Von der Wurmstraße aus, in etwa wo nun die markante Pestsäule steht, müssen wir Richtung Südwesten schauen, um uns die längst versiegte und überbaute Wasserfläche des Lamplwirtsteiches vorzustellen. Hinter uns, in der Herrenstraße 54, lag 1936 hingegen das namensgebende „Gasthaus zum weißen Lamm“, das schon im ältesten Linzer Grundbuch aus 1777 als Lamplwirt ausgewiesen wird.

Ein anderer Linzer Chronist, Hanns Kreczi, merkte 1951 in seinem Buch „Linz, Stadt an der Donau“ an, der vermurte Lamplwirtsteich sei in seinem ursprünglichen Umfang größer als der Volksgarten gewesen. Durch Abholzarbeiten auf den Linzer Hängen, seien die ablaufenden Wasseradern, aus denen sich der Teich ursprünglich speiste, aber mit der Zeit versiegt. Der größere Teil des Teiches wurde zur „nassen Wiese“, der Poschacherwiese, die 1931 überbaut wurde. Lediglich der heutige Parkbereich war Ende der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts noch als Gewässer vorhanden. Dann schon als „übelriechende Lacke, in die die Umgebung alle möglichen Abfälle hineinwarf“, wie Berlinger unter beschönigender Vertuschung der menschlichen Verursacher 1936 schrieb.

Es bringt einem den Sommer, die Stille, die Frösche und das Grün näher, 2009 den Lamplwirtsteich an seinem vermuteten Ufer abzugehen. Es lässt einem den eigenen Augen misstrauen, die einen vormachen wollen, alle Horizonte wären immer schon dieselben Horizonte gewesen und nicht erst hierhin verlegt worden. Es mag eine schöne Utopie gewesen sein, eine nasse Wiese in ein Stück Stadt zu verwandeln, ich aber frage mich, am Lamplwirtsteich stehend, was kommt danach? Nach dem Wasser, nach dem Autoverkehr? Wo ist die Utopie, die Straßen trockenlegt und die Bewegung versickern lässt?

Zurück zum Rauschen. Ein paar Schritte weiter. Nur ein paar Schritte weiter, und ein paar Jahre zurück. Nicht lange, ein Menschenleben bloß,
73 Jahre, und bloß wenige Meter zum nicht mehr existierenden Haus Herrenstraße 39. „Ein aufmerksamer Beobachter kann an dem an der Gartenmauer herabführenden Ableitungsrohre ihr Murmeln vernehmen“, schreibt Berlinger im Frühjahr 1936 über eine beim Bergschlössel in der Ziegeleistraße entspringende und bis in die Stadt herabführende Quelle. Dann schon überbaut. Im Straßenkanal eingeleitet, durch Betonrohre geführt. Heute verschwunden, versiegt. Murmeln vernehmen. Das Murmeln eines verborgenen Baches, wenn auch in Beton geführt, vernehmen. An einer Gartenmauer die es heute ebenso wenig gibt wie den Garten. Verschwunden, versickert, versiegt. Herrenstraße 39. Können wir es hören? Was können wir heute hören? Was würde ich gerne hören?

Mehr Wasser: Im Graben der Ziegeleistraße der Gosen- oder auch Goselsbach. Am Fuße des Forschbergs noch 1862 eine Fischzucht-Anstalt in beträchtlichem Umfang. 1788 noch eine Brücke über einen weiteren Bach an der Kreuzung der Wurmstraße mit der Sandgasse. Wir sehen: Wasser allerorts. Wie Wasser auf den Mühlen der Gedanken, der Imagination. Eine Utopie ist es auch, zurückzuschauen, dem Fortschritt das Lineare abzusprechen, den Stellenwert der Gegenwart über Blicke durch verschiedene Zeitfenster zu bemessen.

Mach das Fenster zu, der Lärm stört. Das Fenster zu. Der Autoverkehr. Ich kann von meinem Fenster bis zum Lampl-wirtsteich sehen, aber ich höre seine Frösche nicht. Ich höre den Bach nicht. Wer soll hier denken, wer soll hier imaginieren; geh mit mir zur Gartenmauer, wir suchen das Murmeln.

Wasser auf den Mühlen der Gedanken. Eingangs der Klammstraße trifft das gleich doppelt zu. Wo heute die Häuser mit den Nummern 20 und 20a stehen, am Canyon einer hoch frequentierten innerstädtischen Verkehrsschlucht, plätscherte einst die Mühle am rauschenden Schweinbach, stand demnach das „Schweinbachmüllerhause“, das zum gegenüberliegenden Althan’schem Haus und Besitz gehörte. Letzteres als Klammstraße Nr. 7 immer noch mit denselben Mauern in unserer Gegenwart präsent. Hier an diesem lauten Nadelöhr, tausendmal passiert, soll einst Wasser geflossen sein? Ein Bach? Im Ernst? Ja, schreibt Berlinger. Ja, schreibt auch Kreczi, der aber oft von Berlinger abschreibt. „Der entsprang im Schullertal oberhalb des Dörfls. Er floss in den Weiher, der bei dem nach ihm benannten Weiherhof lag. Von da zog der Bach die Straße entlang und trieb die ‚Mühle am Schweinbach’. Im Stadtgraben nahm der Bach seinen Weg zur Donau“, lässt uns Kreczi 1951 wissen. Präventiv sorgt der genauere Berlinger schon 1936 für die Details. Vom größten und ergiebigsten Wasserlauf im Gebiete der Stadt Linz informiert er uns, und dass es sich beim Wenerhof, wie Berlinger den Weiherhof bezeichnet, um einen großen Vierkanter an Ort und Stelle der nunmehrigen Hirschgasse 16 gehandelt habe. Vom Weiher, seinerseits im Bereich Hirschgasse 34 gelegen, wären bis 1935 Spuren geblieben. Und dass, obwohl 1853 die Kanalisierung der Hirschgasse vom Magistrat bewilligt und das Bachbeet nach und nach ausgefüllt worden war.

Kanalisiert. Gerodet. Verbaut. Gerodet, verbaut, kanalisiert. Verbaut, kanalisiert, gerodet. überflüssig geworden, allmählich zugeschüttet, verschwunden. Wasser gibt es hier längst nicht mehr, nicht einmal die Straßen heißen danach. Wir könnten am Bach sitzen, sage ich. Das Murmeln hören. Aber jetzt? Hier floss einmal Wasser, hier stand eine Mühle. Jetzt rauschen Abbieger. Was kommt danach?

Mach das Fenster zu, der Lärm stört. Das Fenster zu. Der Autoverkehr. Ich kann von meinem Fenster bis zum Lampl-wirtsteich sehen, aber ich höre seine Frösche nicht. Ich höre den Bach nicht. Wer soll hier denken, wer soll hier imaginieren; geh mit mir zur Gartenmauer, wir suchen das Murmeln.